Bestehendes Rehasystem muss umgebaut werden

Porträt von Horst Frehe (c) ISL e.V.Im Vorfeld einer Fachtagung der AG Recht und Politik der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) am 7./8. April in Halle fordert Horst Frehe eine menschenrechtlich orientierte Anpassung des Rehabilitationsrechtes. Lesen Sie nachstehend ein Interview mit Frehe, der Mitglied der bremischen Bürgerschaft, rechtspolitischer Sprecher der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) und Sprecher des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) ist.


Heiden: Sie werden am Freitag das Abschlussreferat auf einer Fachtagung halten, bei der es um den Beitrag des Rehabilitationsrechtes zur Umsetzung der UN-Konvention an den Hochschulen geht. Wo besteht denn da aus Ihrer Sicht der größte Handlungsbedarf?

Frehe: Es ist ja in der Regel so, dass eine Ausbildung oder Umschulung in den Institutionen wie den Berufsbildungswerken (BBW) oder Berufsförderungswerken (BFW) stattfindet oder in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) endet. Da die akademische Erstausbildung behinderter Frauen oder Männer bislang aber nicht als Leistung zur Teilhabe im Arbeitsleben in den Leistungskatalog des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) aufgenommen wurde, ist eine solche Erstausbildung an einer Universität lediglich im Rahmen der Eingliederungshilfe, also des SGB XII als Fürsorgeleistung in Abhängigkeit vom Einkommen und Vermögen möglich. Wir erleben deshalb die paradoxe Situation, dass eine Ausbildung zum Diplomingenieur in einer Einrichtung wie der Stiftung Rehabilitation von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert werden kann, nicht aber die gleiche Ausbildung an einer regulären Hochschule.

Heiden: Was müsste denn Ihrer Ansicht nach geschehen, um hier eine Änderung zu erreichen?

Frehe: Im Sozialgesetzbuch IX sollte in § 33 eine neue Regelung in den Leistungskatalog aufgenommen werden, die die Förderung an einer Regeleinrichtung, etwa einer ganz normalen Universität ermöglicht. Das Sozialgesetzbuch III zur Arbeitsförderung müsste natürlich ebenfalls entsprechend geändert werden. Die genauen Vorschläge dazu werden sich auch in unserem Vorschlag zu einem „Gesetz zur Sozialen Teilhabe“ wiederfinden, das wir Anfang Mai vorstellen werden. Dort wollen wir auch das Recht auf ein Budget für Arbeit als Ergänzung des Persönlichen Budgets verankern. Damit könnte jemand aus der WfbM seine Leistungen in ein sozialversichertes Arbeitsverhältnis mit einem tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entgelt mitnehmen.

Heiden: Nun ist der Mangel eines Ausschlusses der Hochschulausbildung ja nur ein Aspekt aus dem Bereich der beruflichen Rehabilitation. Müsste es nicht im Licht der neuen UN-Konvention auch eine Gesamtüberprüfung aller Rehabereiche geben?

Frehe: Natürlich, es müssen alle Aspekte des existierenden Rehasystems auf den Prüfstand. Maßstab dabei muss in der Tat die UN-Behindertenrechtskonvention sein. In Artikel 26 der Konvention zu Habilitation und Rehabilitation ist beispielsweise nicht von Sondereinrichtungen die Rede. Wir müssen deshalb die alte Rehabilitationsphilosophie, die da heißt „Ausgliedern und fitmachen für die Wiedereingliederung“ überwinden. Wenn wir zu einem echten Teilhabesystem kommen wollen, müssen wir konsequent umsteuern zu inklusiven Habilitations- und Rehabilitationsdiensten.

Heiden: Was bedeutet das denn konkret?

Frehe: Nun, ich will das Ganze nicht mit dem gerade aktuellen Umsteuern zu einer nachhaltigen Energieversorgung vergleichen, aber die Bundesregierung muss auch hier einen unumkehrbaren Prozess einleiten, der dem menschenrechtlichen Modell von Behinderung verpflichtet ist, und sowohl das Reha-Recht als auch alle Reha-Einrichtungen und Dienstleistungen unter diesem Blickwinkel umbauen. Wie das im Einzelnen dann konkret aussieht, muss sich noch herausstellen

Heiden: Welche Rolle sollen denn die behinderten Frauen und Männer und ihre Verbände selber bei diesem Umbau spielen?

Frehe: Zum einen verpflichtet die UN-Konvention zu einer engen und aktiven Zusammenarbeit mit den Betroffenen, wenn es um die Umsetzung geht. Zum anderen ist es natürlich auch eine Form der Qualitätssicherung, wenn dieser Prozess auf Augenhöhe zusammen mit denjenigen gestaltet wird, die es angeht.

Heiden: Vielen Dank für das Gespräch!

Link zur Fachtagung: http://www.rehabilitationswissenschaften.de/files/fachtagung_flyer.pdf