"Wir wollen nicht nur die Krümel, sondern die ganze Bäckerei!"
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- Erstellt: Freitag, 31. Januar 2014 10:25
Dieser Ausspruch einer Teilnehmerin bringt den Geist der Veranstaltung der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) auf den Punkt, die gestern in Berlin stattfand. Die Teilnehmenden forderten übereinstimmend ein Ende der Bescheidenheit und die Besinnung auf den eigenen wertvollen Beitrag in der Gesellschaft. International ist dieser Anspruch unter dem Begriff "Disability Pride" bekannt, also dem Stolz behinderter Menschen. Die Tagung stand unter dem Motto "Die Scham ist vorbei! Verstecken war gestern - Aufbruch ist heute - Vielfalt ist morgen!" Dazu hat die ISL auch eine neue 84-seitige Broschüre mit dem Titel "Wir sind bunt und frech - mutig und laut! Ein Geschichts-Lese-Buch über Scham, Aussonderung, Stolz und Emanzipation!" vorgestellt.
Den Auftakt der ausgebuchten Veranstaltung bildete ein Video von der Rede Theresia Degeners, die sie bei der "behindert und verrückt feiern - Pride Parade" im Juli 2013 in Berlin gehalten hat http://www.pride-parade.de/redebeitraege.html. Anschließend stellte ISL-Bildungsreferentin Wiebke Schär "Bilder von Behinderung" aus der Geschichte vor: "Behinderte Menschen wurden ausgelacht, sie wurden bemitleidet, sie wurden aber auch weggesperrt und durften nicht teilhaben", so das Fazit von Schär, die auch die Autorin der neuen ISL-Broschüre ist. "Heute und in 50 Jahren wollen wir aber andere Bilder, nämlich Bilder der Vielfalt sehen, Bilder, auf denen behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen in der Schule lernen, zusammen arbeiten. Und vor allem wollen wir auch entscheiden, wie wir gesehen werden wollen - und das sind dann die Bilder von morgen!"
Die Diplom-Psychologin Petra Stephan stellte anschließend in ihrem Vortrag heraus wie Scham entsteht und welche Wege es zur Selbstachtung geben kann. Wie das genau umgesetzt werden kann, stand dann im Mittelpunkt des Nachmittags - mit Kurzvorträgen und kreativer Arbeit an Wandzeitungen: Ottmar Miles-Paul von Netzwerk Artikel 3 forderte eine Besinnung auf den Punkt m) in der Präambel der UN-Behindertenrechtskonvention, die den wertvollen Beitrag behinderter Menschen betont und schlug vor, sich verstärkt um Menschenrechte zu bemühen. Brigitte Faber vom Weibernetz ging den Vor- und Nachteilen einer nicht sichtbaren Behinderung nach. Ferner stellte sie klar, dass es mehr Vernetzungen, zum Beispiel mit den Organisationen von schwulen und lesbischen Menschen geben müsse. Kati Stephan vom Verband der Körperbehinderten der Stadt Dresden stellte zum Thema Empowerment in den Mittelpunkt, es dürfe "keine Angst vor großen Tieren" geben. Antje Barten und Michael Zander vom Pride Parade Bündnis berichteten über Hintergründe ihrer Idee und die Vorbereitungen zur Pride Parade, die 2013 das erste Mal in dieser Form in Berlin stattfand und fragten, was in einer Gesellschaft, die von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat geprägt ist, verändert werden müsse, damit „niemand“ mehr ausgegrenzt wird?
ISL-Geschäftsführerin Sigrid Arnade betonte in ihren abschließenden Worten den Wert der Vielfalt: „Ich wünsche mir, dass wir Grenzen und Vorbehalte überwinden, Synergieeffekte nutzen und mit Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen sowie anderen benachteiligten Gruppen für eine bessere Welt, für ein besseres Leben zusammenarbeiten!“
Die Veranstaltung fand im Rahmen eines dreijährigen ISL- Projektes "Aus Scham wird Stolz" statt, das mit Mitteln der Aktion Mensch gefördert wird. Alle Beiträge der Tagung werden in Kürze unter der neuen Seite http://www.disability-pride.isl-ev.de/ nachzulesen sein. Dort ist auch die ISL-Broschüre als barrierefreie pdf-Datei erhältlich. Druckexemplare sind für 1,50 Euro plus Versandkosten bei der ISL-Geschäftsstelle erhältlich.