Halbzeitbilanz der Empowerment Schulungen

Bild der Empowerment-RaketeKassel (kobinet) Die Hälfte der Empowerment Schulungen für behinderte und chronisch kranke Menschen unter dem Motto "Stärker werden und etwas verändern!" haben mittlerweile stattgefunden. Die Bewerbungsmöglichkeit für den letzten Schulungsblock in Nordrhein-Westfalen läuft noch bis 26. Januar. Grund genug mit Ottmar Miles-Paul, der die Schulungen für die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) koordiniert, eine Zwischenbilanz über das Modellprojekt zu ziehen.

kobinet-nachrichten: Die Hälfte der Empowerment Schulungen haben mittlerweile stattgefunden und der erste Kurs in Mainz ist bereits abgeschlossen. Wie ist Ihre Bilanz nach dem Bergfest?

Ottmar Miles-Paul: Die Bilanz ist für mich sehr stark von den persönlichen Begegnungen während der Empowerment Schulungen geprägt, die ich selbst mit geleitet habe. Und da habe ich unheimlich viel Engagement, aber auch Menschlichkeit und gegenseitige Unterstützung gespürt, was mich selbst unheimlich beflügelt hat. So war bei vielen TeilnehmerInnen der Schulungen förmlich zu beobachten, wie ihr Engagement und Selbstbewusstsein, aber auch ihr Einfühlungsvermögen für Menschen mit anderen Behinderungen gewachsen ist. Zum Teil haben sich sogar neue und völlig unerwartete Jobmöglichkeiten geboten. Das ist wohl auch die Mischung, die den etwas schwierig zu erklärenden Begriff des Empowerments ausmacht. Ein in Mainz gedrehter Film zur Empowerment Schulung bringt dies meines Erachtens gut rüber. Link zum Empowerment-Film

kobinet-nachrichten: Was bedeutet Empowerment denn für Sie?

Ottmar Miles-Paul: Ich selbst habe vom Geist des Empowerments damals, als ich als Student in den USA gelebt und mich mit der dortigen Behindertenbewegung befasst habe, enorm profitiert. Trotz meiner verschiedenen Einschränkungen haben andere Menschen an mich geglaubt, mich gefördert und mich immer wieder mit neuen Möglichkeiten herausgefordert. Ich habe in den USA und hier in Deutschland viele positive Rollenvorbilder gefunden, von denen ich lernen konnte, dass wenn wir selbst uns nicht einmischen und wir uns nicht für andere behinderte Menschen mit einsetzen, wir dazu verdammt sind, abzuwarten, welche Krümmel uns die anderen abgeben. Dieser Geist des Empowerments hat mir viele Türen geöffnet, von denen ich früher nicht einmal wusste, dass es diese überhaupt gibt und macht für mich einen entscheidenden Faktor von Inklusion aus. Ein weiterer Faktor des Empowerments stellt für mich aber auch dar, dass wir unsere Möglichkeit nutzen, um andere behinderte und nichtbehinderte Menschen zu unterstützen, selbstbestimmt und gleichberechtigt mitten in der Gesellschaft zu leben. Und das macht das Konzept des Empowerments gerade in Zeiten der UN-Behindertenrechtskonvention und im Hinblick auf das Ziel der Inklusion so politisch. 

kobinet-nachrichten: Hat sich dies auch in den Empowerment-Schulungen niedergeschlagen? 

Ottmar Miles-Paul: Auf jeden Fall. Die Mischung aus dem persönlichen Dazulernen und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit den eigenen Einschränkungen sowie die Durchführung eigener konkreter Projekte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention macht die Empowerment Schulungen sehr politisch. Der Auftrag des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Modellprojektzes zielt ja entscheidend darauf ab, behinderte und chronisch kranke Menschen für die Teilhabe im Prozess der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu gewinnen, ihnen das hierfür nötige know how zu vermitteln und sie zu stärken, sich einzumischen. Denn Diskussionen bzw. Prozesse zur Entwicklung und Umsetzung von Aktionsplänen oder zur Inklusion ohne Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen selbst, widersprechen sich förmlich.  

kobinet-nachrichten: Welche Projekte werden denn konkret von den TeilnehmerInnen durchgeführt? 

Ottmar Miles-Paul: Eine Reihe von Projekten befinden sich natürlich noch in der Umsetzung, einige sind aber auch schon abgeschlossen. Am Tag der deutschen Sprache gelang es in Mainz beispielsweise eine Reihe von Artikeln zum Thema Leichte Sprache von der Titelseite bis in den Sportteil in der Allgemeinen Zeitung zu platzieren. Dies hat Eileen Moritz, mit der ich die Kurse in Mainz und Erfurt gestaltet habe, und mich schwer beeindruckt. Eine Reihe von TeilnehmerInnen macht mit bei der Entwicklung von kommunalen Aktionsplänen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ein Frühstück für behinderte Frauen wurde durchgeführt und weitere sind geplant. Behinderte Menschen aus Werkstätten für behinderte Menschen setzen sich für Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, für flexiblere Arbeitszeiten und gegen das Unwesen ein, dass man in den meisten Werkstätten ein ärztliches Attest braucht, wenn man Teilzeit arbeiten will. Die Mitwirkung in kommunalen Behindertenbeiräten und als Behindertenbeauftragte, die Einmischung in politischen Parteien sowie der Einsatz für mehr Barrierefreiheit vor Ort sind weitere Aktivitäten, die die TeilnehmerInnen der Schulungen im Rahmen ihrer Projekte voran treiben. 

kobinet-nachrichten: Das klingt spannend. Wird dies dokumentiert? 

Ottmar Miles-Paul: Ja, das Ziel ist, dass am Ende der Empowerement Schulungen ein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention steht, in dem die geplanten und durchgeführten Maßnahmen der TeilnehmerInnen aufgelistet werden. Damit wollen wir deutlich machen, wie wichtig und verändernd das Engagement behinderter und chronisch kranker Menschen gerade im Hinblick auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wirken kann. Das ist eine Menge Arbeit, erfordert viel Unterstützung, ist aber unheimlich spannend. Denn es führt uns weg vom klagen, was man alles machen könnte, hin zur Besinnung darauf, was wir selbst zusammen mit anderen bewegen und verändern können. Vor allem wird bei den Schulungen deutlich, wie wir uns effektiver und solidarischer engagieren können, anstatt uns gegenseitig zu blockieren, bzw. schlecht zu machen. Dies stößt sicherlich immer wieder an gesellschaftlich noch vorhandene Grenzen, aber es stärkt die Erfahrungen und das Engagement für Veränderungen ungemein.

kobinet-nachrichten: Und wie geht's jetzt in der zweiten Hälfte des Projektes weiter? 

Ottmar Miles-Paul: Am Wochenende findet in Bremen das zweite von insgesamt vier Schulungswochenenden statt, das von Charlotte Wolff-Böcker und mir geleitet wird. Dabei geht es um die Themen Kommunikation und Verhandlungsstrategien. Wir werden auch Menschen mit Lernschwierigkeiten zu Gast haben, die sich für ihre Selbstbestimmung stark machen und schon einiges auf diesem Weg erreicht haben. Und im März beginnt in Düsseldorf der letzte Empowerment-Schulungskurs. Hierfür läuft noch bis zum 26. Januar die Bewerbungsfrist für behinderte und chronisch kranke Menschen aus Nordrhein-Westfalen. Wie bei den anderen Schulungen, hoffen wir auch hier auf viele Bewerbungen von engagierten Menschen, die sich mit anderen behinderten und chronisch kranken Menschen austauschen und etwas im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention bewegen wollen.

Link zur Ausschreibung und weiteren Informationen zu den Empowerment-Schulungen

kobinet-nachrichten: Dann viel Erfolg mit den Empowerment Schulungen und für den weiteren Weg zur Stärkung des Empowerment-Ansatzes in Deutschland.