Gegen Apartheid-Regelungen beim Wahlrecht
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- Erstellt: Donnerstag, 30. April 2015 10:51
Auf Empörung ist bei der Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland, Dr. Sigrid Arnade, die Einladung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Technischen Universität Chemnitz gestoßen, Beurteilungskriterien für die kognitiven Basisvoraussetzungen zur Ausübung des Wahlrechts zu entwickeln. Für Dr. Sigrid Arnade ist es ein Rückfall ins Apartheiddenken, wenn die Wahlfähigkeit einzelner behinderter Menschen begutachtet werden soll, anstatt den diskriminierenden Wahlrechtsausschluss endlich aufzuheben.
In der Einladung des BMAS und der TU Chemnitz heißt es wörtlich:
"Gemäß der bestehenden Rechtslage (Bundeswahlgesetz) ist u.a. die Personengruppe nach §13 Nr. 2 BWG (Personen unter dauerhafter Betreuung in allen Angelegenheiten) vom Wahlrecht ausgeschlossen. Da sich Deutschland mit der Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet hat, Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte zu garantieren, hat die Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK entschieden, den Rechtsstatus in Deutschland wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Die genannte Studie untersucht u.a. die Frage, ob bzw. inwieweit Menschen unter dauerhafter Betreuung in allen Angelegenheiten aus klinisch-psychologischer und neurokognitiver Perspektive zu einer eigenständigen und verantwortlichen politischen Willensbildung und Wahlentscheidung fähig sind. Um im Ergebnis der Studie abschließende Empfehlungen formulieren zu können, entwickelt die Arbeitsgruppe der Professur für Klinische Psychologie der TU Chemnitz wissenschaftlich fundierte und zwischen Experten und Betroffenen maximal konsensfähige Beurteilungskriterien für die kognitiven Basisvoraussetzungen zur Ausübung des Wahlrechts. Daran anschließend soll eine Begutachtung der betroffenen Personengruppen nach §1896 BGB (seelische Behinderung, geistige Behinderung, körperliche Behinderung, psychisch Erkrankte) zur Feststellung der kognitiven Basisfähigkeiten zur faktischen Ausübung des Wahlrechts nach standardisierten Kriterien erfolgen. Das Ergebnis der Studie soll dazu beitragen, die medizinisch-psychologischen Voraussetzungen für die Begründung von Wahlrechtsausschlüsse individuell zu überprüfen".
"Ich bin fassungslos und empört ohne Ende und ich hoffe, Sie sind es auch. Statt einen völkerrechtswidrigen Wahlrechtsausschluss ohne Wenn und Aber als solchen zu benennen und ersatzlos zu streichen, soll jetzt ein medizinischer defizit-orientierter Kriterienkatalog zur Beurteilung der Wahlfähigkeit entwickelt werden. Was hat das mit der UN-Behindertenrechtskonvention zu tun? Wie kann es zugelassen werden, dass solch ein Gespräch einen Monat nach der Genfer UN-Staatenprüfung im BMAS stattfindet? Ist das jetzt der Rückfall ins Mittelalter? Wer will sich da überhaupt anmaßen, beurteilen zu können/wollen, ob das Wahlrecht an- oder aberkannt wird? Was haben die ganzen MedizinerInnen im Kreis der Eingeladenen zu suchen?" fragt sich Dr. Sigrid Arnade und fordert: "Wir sollten meiner Ansicht nach geschlossen und lautstark protestieren, aber keinesfalls 'mitspielen'."