Gesetz für Barrierefreiheit ignoriert die Lebenswirklichkeit vieler behinderter Menschen

Geldautomat mit Stufen am Brandenburger Tor mit behinderten Menschen Foto: Franziska VuBerlin, 05. Mai 2021. Mit einer Protestaktion hat die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) auf das geplante Gesetz für mehr Barrierefreiheit aufmerksam gemacht und teilt in Übereinstimmung mit einer Vielzahl weiterer Behindertenverbände die Auffassung, dass die Lebenswirklichkeit eines Großteils in Deutschland lebender behinderter Menschen, vom Gesetzentwurf der Bundesregierung völlig ignoriert wird. Mit einem am Brandenburger Tor installierten Geldautomaten, der nur über Stufen erreichbar ist, zeigt die ISL auf plastische Weise einen zentralen Fehler im sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) auf: Die bauliche Umwelt bleibt bei den gesetzlichen Regelungen außen vor. Etliche Menschen im Rollstuhl und mit einem Rollator haben mühsam versucht den Geldautomaten zu erklimmen – erfolglos.

Zwar wird die digitale Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen endlich für private Anbieter im neuen Gesetz angegangen, aus Sicht der ISL aber nur ungenügend. „Es wird ein Gesetzesentwurf zur Barrierefreiheit im Bundestag bearbeitet, der den baulichen Zugang völlig ignoriert, viel zu lange Umsetzungsfristen hat, Barrierefreiheit gewerblich genutzter Software ausschließt, keine zentralisierte und für die behinderten Verbraucher*innen konsequent barrierefreie und transparente Marktüberwachung vorsieht und viel zu viele Zumutbarkeitsausnahmen für die Privatwirtschaft beinhaltet,“ so beschreibt es die ISL-Expertin für Barrierefreiheit Jessica Schröder bei der Protestaktion anlässlich des 5. Mai, dem europäischen Protesttag der Menschen mit Behinderungen.

„Wenn sich das nicht ändert, dann werden Millionen von behinderten Menschen, die zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausmachen, weiterhin die nächsten Jahrzehnte von der Gesellschaft im Privat- und Berufsleben ausgeschlossen bleiben. Blinde Menschen werden ein Selbstbedienungsterminal und ein barrierefreies Bankkonto frühestens ab 2040 benutzen können,“ erklärt Schröder weiter und appelliert an den Bundestag: „Werte Abgeordnete, setzen Sie sich für ein gutes Barrierefreiheitsrecht ein, das auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar ist!“

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) basiert auf dem European Accessibility Act (EAA) und wird nur mit den Mindestanforderungen der europäischen Union (EU) in Deutschland umgesetzt, um ein Vertragsverletzungsverfahren zu umgehen. Das Gesetz soll nur mit minimalen Verbesserungen nach Forderungen der Behinderten- und Sozialverbände voraussichtlich noch im Mai im Bundestag verabschiedet werden. Es wurde dazu keinerlei Debatte geführt und nur eine verkürzte Sachverständigenanhörung im Rahmen des parlamentarischen Partizipationsprozesses für den 17.05. geplant.