Stellungnahme der ISL zur Sterbehilfe-Diskussion:

Keine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Seit einigenWochen liegt eine ausführliche Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zum Thema Sterbehilfe vor. Auffallend ist, dass in einem wesentlichen Punkt eine Einigung unter den Miitgliedern des Rates nicht erzielt werden konnte. Ein Teil der Mitglieder spricht sich für eine ärztlich begleitete Selbsttötung aus, dies vor allem mit der Begründung, damit Ärzte und Ärztinnen ihren Patienten helfen könnten. Noch trifft diese Auffassung auf großen Widerspruch aus Kreisen der Ärzteschaft. Dennoch wirft die nicht einheitliche Stellungnahme ein Schlaglicht auf die Dynamik der Sterbehilfedebatte hin zu einer Legalisierung von Sterbehilfe. Ähnliches gilt für den Versuch, den Begriff der passiven Sterbehilfe durch den Begriff des Sterbenlassens zu ersetzen. Hier werden wesentliche Prinzipien des Schutzes des Lebens in Frage gestellt.

   

1. Eine schiefe Ebene, auf der es kein Halten geben wird Seit langem gibt es in Deutschland diese Bestrebungen, die aktive Sterbehilfe zu legalisieren, Die Rechtsprechung der letzten Jahre hat das Tor zur aktiven Sterbehilfe schon weit aufgestoßen. So verlangen Richter inzwischen vor einem Behandlungsabbruch die Prüfung, ob "ein bewusstes oder selbstbewusstes Leben für den betroffenen Patienten zu erwarten sei" (OLG Frankfurt 1998).  Dieses Kriterium aber führt unausweichlich in ein Wertesystem, das menschliches Leben erster und zweiter Klasse unterscheidet, mit unterschiedlichem Anrecht auf Schutz und Menschenwürde. Die völlige gesetzliche Freigabe der "aktiven Sterbehilfe" konnte aber bisher - anders als in den Niederlanden oder Belgien - In Deutschland nicht durchgesetzt werden. Ein Grund sind die Erfahrungen mit der Gesundheitspolitik des Hitler-Faschismus. Die Nationalsozialisten knüpften an die nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland und anderen Ländern breit geführte Diskussion über die angeblich so segensreiche und humane Freigabe der "aktiven Sterbehilfe" an, um ihr Programm der Vernichtung unwerten Lebens" und der Endlösung der sozialen Frage zu verwirklichen. Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die Euthanasie -ärzte des Dritten Reiches schrieb 1949 der österreichische Arzt Leo Alexander, "dass allen, die mit der Frage nach dem Ursprung dieser Verbrechen zu tun hatten, klar wurde, dass sie aus kleinen Anfängen wuchsen. Am Anfang standen zunächst feine Akzentverschiebungen in der Grundhaltung. Es begann mit der Auffassung, die für die Euthanasiebewegung grundlegend ist, dass es Zustände gibt, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind. In ihrem Frühstadium betraf diese Haltung nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurde der Bereich jener, die unter diese Kategorie fielen, erweitert und auch die sozial Unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten, die rassisch Unerwünschten dazugerechnet. Entscheidend ist jedoch zu erkennen, dass die Haltung gegenüber den unheilbar Kranken der winzige Auslöser war, der diesen totalen Gesinnungswandel zur Folge hatte." Wir halten es daher für gefährlich und grundfalsch, die Tötung auf Verlangen und die aktive Sterbehilfe gesetzlich zuzulassen.

2. Missbrauch, Routine und Kommerzialisierung Wenn der Staat es erst einmal zulässt, dass ÄrztInnen ihren PatientInnen Tabletten oder Spritzen verabreichen, die als einziges Ziel haben, diese umzubringen, dann ist nicht nur der Missbrauch gegen den Willen der Betroffenen programmiert. Eine genaue gesetzliche Regelung führt auch dazu, dass auch der letzte Abschnitt des Lebens voll in der Routine des medizinischen und betreuungsrechtlichen Alltags aufgeht, dass sich dabei pragmatisch zweckgerichtetes Handeln durchsetzen und die Todesspritze zu einer normalen, gleichrangigen Alternative ärztlichen Handelns wird. Es wird zur Kommerzialisierung kommen. Schnell wird der Markt sich der geänderten Rechtslage annehmen. Es wird einen Handel mit den den sanften Tod versprechenden Giften geben. Das unkontrollierbare Internet bietet sich nahezu dafür an. Es wird spezielle ÄrztInnen und Kliniken geben, deren bevorzugtes Geschäft es sein wird, schwerkranke und schwerstbehinderte Menschen zu töten. Der Sterbehilfetourismus wird sich ausweiten.

3. Rechtfertigungszwang für Lebende Wenn aktive Sterbehilfe generell freigegeben würde, dann sind sich Kranke und Behinderte buchstäblich ihres Lebens nicht mehr sicher. Es ist zu befürchten, dass das Leben von Schwerverletzten und behinderten Menschen entweder einfach beendet wird oder unter starken Rechtfertigungsdruck gerät - vor allem in Zeiten knapper werdender öffentlicher Gelder. Dies betrifft auch behinderte Menschen, die von Geräten abhängig sind, aber ein relativ normales Leben führen können, oder Menschen mit einer stark sichtbaren Behinderung oder einer Behinderung, über die die meisten wenig wissen. Permanent stünde vielen Kranken oder Schwerbehinderten die Aufforderung im Rücken: Warum stirbst du nicht endlich? Warum bittest du nicht um dein Ende? Wenn eine Gesellschaft daran arbeitet, Behinderung aus dem Leben zu bannen, dann verringert das zwangsläufig auch die Akzeptanz und Toleranz denjenigen gegenüber, die mit ihrer Behinderung leben.

4. Kein freier Wille Von einem freien Willen kann bei der Bitte um die Giftspritze in einer solchen Gesellschaft daher überhaupt nicht die Rede sein. Die Einsamkeit, die unzureichend behandelten Schmerzen, die schreckliche Situation in den Kliniken und Pflegeheimen, das Gefühl, nur noch anderen zu Last zu fallen, der mehr oder weniger direkte Druck des sozialen Umfeldes werden weit häufiger diese Bitte um den schnellen Tod bestimmen als der freie Wille.

5. Behinderung auf Leid reduziert Die Verhinderung von Leiden ist das Hauptargument der Sterbehilfebefürworter. Behinderung wird dabei grundsätzlich immer mit (unerträglichem) Leid gleichgesetzt. Wir sind aber lebende Beispiele dafür, dass ein erfülltes Leben auch mit Behinderung möglich ist und selbstverständlich sein sollte. Leid gehört zum Erfahrungsschatz aller Menschen, nicht nur der mit Behinderungen, und ist zudem eine ganz individuelle und subjektive Erfahrung. Das Leidempfinden verändert sich auch bei einzelnen Menschen mit dem Alter und der Tagesform. Eine objektive Beurteilung von Leid kann es daher gar nicht geben. Die Gleichsetzung von Behinderung und Leid drückt vielmehr eine tief verwurzelte Angst vor eigener Behinderung aus. Dieser Angst könnte man weitaus besser durch vernünftige Integration entgegenwirken - wenn es endlich normal würde, behindert zu sein - als mit der Möglichkeit der Ausmerzung von Behinderung durch Tötung der betroffenen Menschen.

6. Keine Sicherheit durch PatientInnenverfügungen Als eine wesentliche Hilfe wenn die Patientinnen nicht mehr bei Bewusstsein sind, sollen demnächst auch in Deutschland verbindliche PatientInnenverfügungen dienen. Diese sind in der Regel von den PatientInnen in einer ganz anderen Lebenssituation verfasst worden. Und selbst wenn die PatientInnenverfügungen schon bei sehr fortgeschrittener Krankheit oder zu einem Zeitpunkt kurz vor Eintreten der Nichtzustimmungsfähigkeit verfasst werden, führen sie nicht zu der erhofften Befreiung von schweren Entscheidungen. PatientInnenverfügungen sind ein äußerst bedenkliches Instrument. Sie verbreiten leicht eine falsche Sicherheit. Viele Menschen glauben, dass mit dem Abfassen einer PatientInnenverfügung ein Ende in Würde selbstverständlich wäre. Als Folge davon setzen sie sich dann nicht mehr mit dem eigenen Ende, dem eigenen Sterben auseinander. Nicht jeder denkbare Fall kann durch eine PatientInnenverfügung abgedeckt werden, insofern ist diese häufig stark interpretationsbedürftig. Der Wille des Menschen ist nichts gleich bleibendes, ändert sich mit der Situation und ist von daher in seiner Aussagekraft über die Zukunft nicht verlässlich. Bei nichteinwilligungsfähigen PatientInnen sollen gesetzliche BetreuerInnen, Angehörige, ÄrztInnen und VormundschaftsrichterInnen  den "mutmaßlichen Willen" der Betroffenen ermitteln. Was ist aber der "mutmaßliche Wille" und kann er überhaupt objektiv ermittelt werden? Der mutmaßliche Wille ist ein juristisches Konstrukt und ein leicht zu manipulierendes Instrument. Die Gesunden, häufig zudem interessengeleitete Angehörige, würden nicht selten den Kranken, in deren Lage sie sich eben nicht hineindenken können, ihre Auffassung aufpressen. Die PatientInnenverfügung erweckt daher nur den Anschein von Selbstbestimmung. Sie kann aber auch gegen den Menschen eingesetzt werden, wenn diese ihren Willen nicht mehr äußern können. Selbstbestimmung gehört zu den menschlichen Herausforderungen, die ständig neu bearbeitet, gestaltet und gelebt werden müssen, insbesondere in kritischen Lebensphasen. Ein Schriftstück, zumeist vorgefertigt, befreit die Menschen nicht von diesen Aufgaben.

7. Umgang mit Selbsttötungswünschen Dass Menschen in kritischen Lebenslagen mit Selbsttötungswünschen reagieren, ist nicht zu verhindern. Die Frage ist, wie mit solchen Wünschen respektvoll umgegangen wird. Das Angebot des schnellen Todes ist ganz sicher der falsche Weg. Aufgabe der Ärzte, der Pflegenden und der Angehörigen ist es vielmehr, in solchen Situationen die Not hinter dem Tötungswunsch sensibel wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Dann sollten Angebote gemacht werden, welche die Situation für alle erleichtern oder die den Blick auf das Leben zum Positiven verändern können. Die weit verbreitete Einstellung mit einer solchen Behinderung kann man doch nicht leben kann z.B. durch Gegenbeispiele zurecht gerückt werden. Schmerzen können behoben werden. Das Gefühl, anderen nur noch zur Last zu fallen, kann entkräftet werden. Solch ein Prozess braucht vor allem aber Zeit und Kraft, die durch ein schnelles Todesangebot nicht gegeben sein wird. Und wenn es nicht zu verhindern war, dass sich Menschen selbst töten, dann ist das allemal Anlass zu trauern, innezuhalten, nachzudenken, was falsch gelaufen ist. Es darf aber nicht zum Anlass genommen werden, neue Gesetze zu fordern, die die Selbsttötung oder die Tötung auf Verlangen erleichtern, oder gar eine neue praktische Ethik oder Moral als sozial notwendig zu verlangen, die das Tötungstabu grundsätzlich aufhebt. Wie genau ein selbstbestimmtes Leben und Sterben aussieht, muss jeder/m Einzelnen überlassen bleiben. Behinderte Menschen können ihre Erfahrungen, wie man mit Einschränkungen, Leiden und Behinderungen umgeht, dabei weitergeben.

8. Kostengründe "Sterbehilfe" ist nicht zuletzt eine ökonomische Frage. 60 bis 70 Prozent der gesamten Behandlungskosten eines Lebens fallen in den letzten zwei Lebensjahren an. Da ist die Versuchung groß, die maroden Gesundheitssysteme durch die Tötung dieser PatientInnen zu sanieren. Die Praxis der "Sterbehilfe" in den Niederlanden oder Belgien ist für die Kosten und Nutzen abwägenden Sozial- und GesundheitspolitikerInnen weltweit daher durchaus Vorbild. Rund 40.000 Menschen fallen zum Beispiel in Deutschland jedes Jahr ins Koma, die meisten für wenige Tage oder Wochen, rund 3000 aber für mehr als ein halbes Jahr. Die Behandlung einer/s Komapatienten kostet monatlich mindestens 5.000 Euro. Es ist daher kein Zufall, dass diese Menschen am häufigsten als Argument für die aktive Sterbehilfe herhalten müssen. Die Legalisierung der Sterbehilfe, die Zulassung der Giftspritze ist daher weit mehr ein Gebot  des  Wettbewerbs und der Standortsicherung als ein Gebot christlicher Nächstenliebe oder gar der Selbstbestimmung.