Rolle rückwärts bei der Eingliederungshilfe?

Porträt von Barbara Vieweg (c) ISL e.V.Ein Kommentar von Barbara Vieweg, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) anlässlich der heutigen Tagung des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe

Bleibt es also weiter dabei, dass behinderte Menschen nicht dort leben können, wo sie es wollen, wenn der Sozialhilfeträger ein billigeres Heimangebot hat? Bleibt die Neuausrichtung der Werkstätten für behinderte Menschen auf der Strecke und damit das Wahlrecht des behinderten Menschen zwischen den Angeboten in einer Werkstatt und außerhalb der Werkstätten? Soll es so kommen wie bei der Elternassistenz, dass kein Handlungsbedarf gesehen wird und behinderten Eltern ohne Unterstützung bleiben? Sollen die Verbände behinderter Menschen weiter hingehalten werden, während sich gleichzeitig die Lebenssituation der Betroffenen weiter verschlechtert?

 

Diesen Eindruck konnte man auf der heutigen Fachtagung des Deutschen Vereins gewinnen, denn wieder einmal wurden von Seiten der Bundesländer wichtige Weichenstellungen vertagt. „Nach Ostern“, wann immer das sein mag, soll es ein Gespräch auf Staatssekretärsebene zu einem Referentenentwurf geben. Letzterer wurde bereits einmal vor einem Jahr angekündigt, doch nichts geschah.

Diese Rückwärtsentwicklung wurde bereits Anfang März im Rahmen eines Gesprächs des Deutschen Behindertenrates mit Bundeskanzlerin Merkel deutlich: Der Prozess der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe von Seiten der Bund-Länderarbeitsgruppe werde gestoppt, so Merkel, weil die Kosten für die Länder zu hoch seien. Das bedeutet im Klartext: Menschenrechte nach Kassenlage!

Hierbei handelt es sich um einen unglaublichen Vorgang. In den bisher vorliegenden Eckpunkten der Arbeits- und Sozialminister-Konferenz der Bundesländer (ASMK) wurde immer deutlich Bezug auf die UN-Konvention genommen, insbesondere auf den Artikel 19 (Selbstbestimmt Leben in der Gemeinde). Mit den Vorgaben der Konvention wurde begründet, warum die Eingliederungshilfe weiterentwickelt werden müsse. So schrieb die Bund-Länder Arbeitsgruppe selbst im Jahr 2009:

„Das mit ASMK-Beschluss von 2007 begonnene Projekt der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen wird ein wichtiger Teil des nationalen Aktionsplans werden. Dieses enthält wichtige Impulse für die Umsetzung der im Übereinkommen konkretisierten Prinzipien von unabhängiger Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft, von inklusiver Bildung und Ausbildung, vom Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt, zum selbstbestimmten Wohnen, zum Familienleben sowie zur erforderlichen persönlichen Assistenz.“

Die Verbände behinderter Menschen haben in den letzten drei Jahren eine Reihe von Stellungnahmen und eigenen Konzeptionen dazu entwickelt. An prominentester Stelle ist dabei der Vorschlag für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe zu nennen, das vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen erarbeitet wurde und in Fachkreisen sehr positiv aufgenommen worden ist. Von Seiten der Bund-Länderarbeitsgruppe wurden die Verbände in der Vergangenheit mehrfach angehört, der ASMK jedoch ließen sich kaum detaillierte Informationen entlocken. Auf die wiederholte Frage nach den Kosten wurde den Verbänden versichert, dass dazu eine eigene Arbeitsgruppe arbeite, allerdings ohne die Beteiligung behinderter Menschen.

Und nun? Bleibt es also dabei, dass die UN-Konvention schön auf dem Papier steht, aber bitte doch keine wirklichen Veränderungen bewirken soll? Bleibt es also dabei, dass der menschenrechtliche  Ansatz der Konvention von Kostenerwägungen der Länder und Kommunen in Frage gestellt wird und ein inklusives Gemeinwesen zu teuer ist? Bleibt es dabei, dass die Verbände behinderter Menschen weiter hingehalten werden?