Wichtiges Zeichen zur rechten Zeit gesetzt
Berlin (kobinet) Mit seiner Tour mit dem Elektrorollstuhl vom Bodensee nach Berlin für ein gutes Bundesteilhabegesetz hat Oliver Straub nach Ansicht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul nicht nur einen Nerv getroffen, sondern auch ein wichtiges Zeichen zur richtigen Zeit in Sachen Bundesteilhabegesetz gesetzt. Dies zeigte sich sowohl während seiner Tour auf dem Weg nach Berlin als auch gestern bei seiner Ankunft in der Bundeshauptstadt. Insgesamt 15 Bundestagsabgeordnete waren gekommen, um ihn zu begrüßen und würdig in Berlin zu empfangen.
Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Wer weiß, wie leicht man mit einem Elektrorollstuhl an einer Bordsteinkante, Stufe oder anderen Barrieren scheitern kann, wer weiß, wie anfällig die Technik bei Hilfsmitteln wie Elektrorollstühlen zuweilen ist, wer weiß, welche Wetterkapriolen wir diesen Sommer hatten und wer weiß, wie leicht man sich als jemand, der sich nicht viel bewegen kann, Erkältungen oder Druckstellen zuziehen kann, die wissen, was Oliver Straub mit seiner Tour mit dem Elektrorollstuhl vom Bodensee nach Berlin auf sich genommen hat. Zudem galt es für Oliver Straub, der ja nicht mehr als 2.600 Euro ansparen darf, für jeden Teil der Tour Sponsoren zu gewinnen, die ihm beispielsweise zwei Elektrorollstühle für die Tour zur Verfügung gestellt haben. Darüber hinaus musste Oliver Straub bei Jugendherbergen und Hotels anfragen, ob er und sein Assistenzteam kostenfrei übernachten können. Er musste die Presse vor Ort kontaktieren, Interviews geben, AnsprechpartnerInnen für Empfänge und Aktionen vor Ort suchen und die Tour genau planen. Rundum war diese Tour eine Meisterleistung für jemanden, der nicht von einem großen Projekt gefördert ist, der bisher wenig Erfahrung mit Öffentlichkeitsarbeit und Politik hatte, der nicht studiert hat, der einfach einen Traum hat und die Notwendigkeit sieht, etwas konkretes zu tun. Etwas zu tun, um für ein gutes Bundesteilhabegesetz zu werben, um gegen den Unsinn der Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei behinderten Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, anzutreten. Und aufzuzeigen, dass ein Leben mit Behinderungen und Assistenzbedarf vieles bieten kann, was sich viele gar nicht vorstellen können.
So stieß Oliver Straub bei seiner Tour auch auf große Unwissenheit bei vielen, mit denen er sprach. Nur die wenigsten wussten, dass behinderte Menschen, die Assistenz und andere Nachteilsausgleiche benötigen, meist in der Sozialhilfe angesiedelt sind und daher lebenslang arm gehalten werden. Hier erntete er oft Erstaunen, vor allem, wenn er ausführte, dass davon auch die LebenspartnerInnen betroffen sind, denn zusammen dürfen nur 3.214 Euro angespart werden, um die nötige Unterstützung zu bekommen. Liebe macht also in diesen Fällen so richtig arm, auch wenn die Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Grünen davon ausgeht, dass in Deutschland aus Liebe und nicht aufgrund finanzieller Erwägungen geheiratet wird.
Mit seiner Tour konnte Oliver Straub in so manchen Diskussionen in seiner ruhigen und klaren Art überzeugen, bei Empfängen Akzente setzen und eine Reihe von Berichten in den Medien erreichen. Vor allem konnte er auch Mut machen, dass auch nach einem schweren Unfall ein weitgehend selbstbestimmtes Leben möglich ist. Auch bei den 14 Bundestagsabgeordneten, die gestern vors Paul-Löbe-Haus in Berlin gekommen sind, um Oliver Straub zu begrüßen, hat seine Tour sichtlich Eindruck hinterlassen. Auch wenn viele Abgeordnete erkannt haben, dass die Anrechnung des Einkommens und Vermögens so nicht richtig ist, sind die Lösungswege noch sehr unterschiedlich. Die vollkommene Abschaffung dieser Anrechnung halten die meisten Abgeordneten aus der Koalition noch für nicht machbar. Da war der anschließende Empfang durch die Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt schon aufschlussreicher. Denn sie äußerte sich klar, dass sie für die vollständige Abschaffung der Anrechnung des Einkommens und Vermögens auf Leistungen zum Nachteilsausgleich für behinderte Menschen ist. Diese Aussage war ein wichtiger Durchbruch, auch wenn Ulla Schmidt deutlich machte, dass dies wohl schwer durchsetzbar ist und in mehreren Schritten geschehen müsse, weil es gerade von den Ländern hier noch massive Vorbehalte gäbe. Auf jeden Fall ist das klare Bekenntnis von Ulla Schmidt ein Anker für die weitere Lobbyarbeit, denn erst die vollständige Abschaffung der Anrechnung des Einkommens und Vermögens befreit die Betroffenen auch vom hohen bürokratischen Aufwand der Offenlegung des Einkommens und Vermögens.
Ein Anfang für klare Aussagen ist damit aber gemacht, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden. Denn derzeit wird am Referentenentwurf für das Bundesteilhabegesetz im Bundesministerium für Arbeit und Soziales gearbeitet. Deshalb war der Empfang für Oliver Straub im Kleisthaus durch Verena Bentele genauso wichtig. Denn wie sie deutlich machte, verschaffe diese Aktion wichtigen Rückenwind für ein gutes Bundesteilhabegesetz. Diesen Rückenwind können auch diejenigen brauchen, die derzeit an der Entwicklung des Bundesteilhabegesetzes arbeiten, denn sie müssen austarieren, was politisch gewollt und durchsetzbar ist. Deshalb war es auch ein wichtiges Zeichen, dass Dr. Rolf Schmachtenberg als verantwortlicher Abteilungsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Ankunft und dem Empfang von Oliver Straub beiwohnte und viele Gespräche mit Betroffenen führte.
Wie das Bundesteilhabegesetz einmal aussehen wird, welche konkreten Verbesserungen erreicht werden können, ob es gelingt, damit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einen entscheidendenden Push zu geben, das steht noch in den Sternen. Was Oliver Straub mit seiner Tour durch heiß und kalt, durch Sonne, Wind und Regen und mit einem kaputten Reifen auf einer schwierigen Strecke jedoch gezeigt hat, das ist, dass wir noch eine ganze Menge dafür tun können, um unsere Anliegen in die Öffentlichkeit und an die Politik zu tragen. Möge die Aktion von Oliver Straub und die große Unterstützung, die er auch von vielen behinderten und nichtbehinderten Menschen bei seiner Ankunft und auf dem Weg nach Berlin erfahren hat, Ansporn dafür sein, dass wir es schaffen, ein Bundesteilhabegesetz zu bekommen, dass diesen Namen verdient und die längst nötigen Verbesserungen bringt.