Nicht mit Ehrenamtlichkeit abspeisen lassen
Bad Segeberg (kobinet) Sascha Lang kennt sich sowohl in Luxemburg als auch in Deutschland in Sachen Behindertenpolitik gut aus und engagiert sich schon seit vielen Jahren für Barrierefreiheit und Inklusion. Der Inklusionsbotschafter regt sich aber zunehmend darüber auf, dass er mit Ehrenämtern abgespeist wird, während viele, die neben ihm sitzen, für die Teilnahme bezahlt werden, während er zum Teil nicht einmal die Reisekosten erstattet bekommt. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit Sascha Lang.
kobinet-nachrichten: Es heißt ja immer, dass sich behinderte Menschen für ihre Rechte einsetzen sollen und sich gerade auch um Posten für Behindertenbeauftragte vor Ort bewerben sollen. Wie schätzen Sie dies derzeit ein?
Sascha Lang: Die Politik fordert die Betroffenen immer auf, sich zu engagieren. Die Einrichtung von Behindertenbeiräten werden aber in verschiedenen Kommunen abgelehnt mit der Begründung: direkte Beteiligung ist besser. Das Problem ist aber, der politisch Wille ist dazu meist nicht vorhanden. Oft werden Nichtbetroffene oder Angehörige (Eltern, Ehepartner) auf die Posten gesetzt. Ich spreche denen nicht eine Kompetenz ab, aber sie sind nunmal nicht betroffen. Ich vergleiche das ein bisschen mit der Tatsache, dass ein 19 Jähriger Vorsitzender eines Seniorenbeirates würde. Oder ich übertreibe noch mehr: ein Rechtsgerichteter Leiter des Integrationsamtes. Oder setzt man als Experten einen Metzger ein, um die Rechte der Veganer zu verteidigen. Oder in den Frauenrat nur Männer? Das ist alles Absurd.
kobinet-nachrichten: Immer wieder wird argumentiert, es gäbe keine qualifizierten behinderten Menschen für ehren- und hauptamtliche Jobs als Behindertenbeauftragte. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Sascha Lang: Die Qualifizierung selbst betroffen zu sein reicht in meinen Augen nicht aus. Wir haben aber sehr viele komptente Menschen mit Behinderung, die da sind, aber die nicht zu Wort kommen, die Unterstützung brauchen um den Anlauf zu nehmen sich auszudrücken. Aber, man erlebt immer wieder dass das "Über uns" statt "Mit uns" noch sehr präsent ist in den Köpfen. Oftmals ist aber auch die Bequemlichkeit der selbst Betroffenen zu kritisieren. Inklusion schaffen wir aber nur wenn beide Seiten sich öffnen. Und wenn beide Seiten aufhören von WIR und den ANDEREN zu reden. Aber wir Menschen mit Behinderung müssen stärker präsent werden.
kobinet-nachrichten: Was könnten wir tun, um die Selbstvertretung behinderter Menschen voran zu treiben?
Sascha Lang: Wir müssen die Menschen mit Behinderung suchen, treffen und motivieren. Sie beflügeln sich zu engagieren. Wir müssen sie mit Wissen stark für die Selbstvertretung machen. Wir müssen der Politik zeigen, dass der Wille da ist. Wir müssen selber mehr Präsenz zeigen. Die Betroffenen müssen alle endlich kapieren, dass es ohne sie nicht geht. Gegebenfalls müssen wir anfangen zu klagen, um unsere Rechte zu erhalten. Aber wir 10-15 Prozent der Bevölkerung müssen klar machen, dass wir Wählerinnen und Wähler sind, und wirtschaftlich interessant. Vor allem müssen wir durchboxen, dass wir nicht ständig in reine Ehrenämter gepresst werden. Ich als Experte habe es satt in Sitzungen zu sitzen neben sogenannten anderen Experten, die für ihre Präsenz bezahlt werden und ich muss mir Urlaub nehmen und meine Fahrtkosten noch selber bezahlen. Wer einen Umweltspezialisten einbestellt, der zahlt ihm auch ein Honorar. Ich als Betroffener, der den Nichtbehinderten erklären soll wie Barrierefreiheit läuft, möchte für meine Erfahrungen, mein Wissen und mein Know how auch bezahlt werden. Die, die bereits aktiv sind, müssen sich noch stärker als Motivatoren der noch nicht so Aktiven einsetzen. Da schlummern noch einige rum, die sicher gute Kompetenzen haben, wir müssen die nur an die Hand nehmen. Dafür bedarf es Kraft und Geld.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie den Blick international ausrichten, was fehlt uns in Deutschland, damit die UN-Behindertenrechtskonvention wirklich ernst genommen wird?
Sascha Lang: Es fehlt uns wie in vielen anderen Ländern die sogenannte Handlung. Es wird mir, auch von einigen Verbandsvorständen in der Selbsthilfe, zu viel geredet. Taten werden verlangt. Es gibt einiges, was in Deutschland nicht schlecht ist, aber einiges wo wir uns verbessern müssen. Der vorliegende Gesetztesentwurf zum Bundesteilhabegesetzt ist nicht gut. Hier hat die Politik, wie so oft, viel versprochen und nicht geliefert.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.