Am Ende lande ich dann wieder im Heim
Kassel: Josef Ströbl von Mensch zuerst, der Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Lernschwierigkeiten, brachte das Problem mit der geplanten Hürde für den Zugang zu Eingliederungshilfeleistungen im Bundesteilhabegesetz mit der 5 von 9 Regelung auf den Punkt. Bei einer Veranstaltung des Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) am vergangenen Donnerstag erklärte der auch als Inklusionsbotschafter aktive Josef Ströbl das Problem wie folgt: "Erst muss ich mich wieder dumm stellen und zeigen, was ich nicht kann, dann lande ich am Ende wieder im Heim."
Was Josef Ströbl damit meint bezieht sich auf die im Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz formulierte Grenze zum Zugang zu Eingliederungshilfeleistungen. Demnach muss man in 5 von 9 Lebensbereichen auf Hilfe angewiesen sein, um überhaupt Leistungen zu bekommen. Was für sehbehinderte Studierende Assistenzleistungen in der Bibliothek sein können, ist für Josef Ströbl die Unterstützung im Betreuten Wohnen. Gemeinsam haben beide, dass nach dem neuen Bundesteilhabegesetz diejenigen, die Leistungen beantragen, erst einmal nicht mehr der konkrete Hilfebedarf im Vordergrund steht, sondern ob man in 5 von 9 definierten Lebensbereichen Unterstützung benötigt. "Das ist totaler Quatsch. Wir Menschen mit Lernschwierigkeiten kämpfen für unseren Stolz, dass man nicht immer nur sagt, was wir nicht können. Und jetzt müssen wir uns beim Amt wieder klein und dumm machen, um die Hilfe zu bekommen, die wir brauchen. Und dann steht das in unseren Akten. Am Ende führt das dann vielleicht dazu, dass wir wieder ins Heim müssen."
Auch wenn im Bundesteilhabegesetz ein Bestandsschutz für diejenigen, die derzeit Leistungen erhalten, vorgesehen ist und auch wenn nun noch eine Ermessensregelungen für die SachbearbeiterInnen eingefügt wurde, stieß die geplante Vorschrift auch bei der Veranstaltung in Kassel auf Kopfschütteln. Dies habe mit Personenzentrierung nichts zu tun, waren sich die TeilnehmerInnen der Veranstaltung einig.
Uwe Frevert, der als Berater beim fab Kassel arbeitet und im Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) aktiv ist, kritisierte, dass nach dem jetzigen Gesetzentwurf der größte Teil der behinderten Menschen auch weiterhin im Armenrecht der Sozialhilfe verbleibe. Von der verbesserten Anrechnung von Einkommen und Vermögen werde nur eine sehr kleine Personengruppe profitieren. Die Schnittstellen zur Hilfe zur Pflege und zur Grundsicherung seien bisher nicht gelöst.
Uwe Frevert prophezeit auch, dass es beim Wunsch und Wahlrecht im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erheblichen Einschränkungen kommen werde. Der kostengünstigste Anbieter werde zugrunde gelegt. Auch die personelle Hilfen durch eine gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungserbringern, die im Gesetzentwurf vorgesehen ist, stieß bei Uwe Frevert auf scharfe Kritik. Er selbst hat entscheidend an der Entwicklung des Arbeitgebermodells für mehr Selbstbestimmung mitgearbeitet und müsse nun ansehen, wie dieses Prinzip massiv gefährdet werde.
Einigkeit bestand zum Abschluss der Veranstaltung darüber, dass der vorliegende Gesetzentwurf so völlig unaktzeptabel ist und dafür gekämpft werden muss, dass noch eine Reihe von Änderungen im Gesetzentwurf vorgenommen werden. Deshalb sei es auch wichtig, die Petition von Nancy Poser an den Deutschen Bundestag zu unterstützen und an die Abgeordneten direkt heran zu treten. Weitere Proteste seien auf jeden Fall nötig, damit das Gesetz den Namen Teilhabegesetz verdient.