Es lebe der Sport - aber bitte barrierefrei

Markus Ertl beim SkifahrenLenggries (kobinet) Als Lenggrieser ist der Inklusionsbotschafter Markus Ertl bereits seit den frühen Kindertagen ein Wintersport-Begeisterter. Mit dreieinhalb Jahren auf den ersten Ski gestanden, ist er heute ein leidenschaftlicher Blindenskiläufer, fährt gerne mit seiner Familie und hat auch schon sein erstes Skirennen bei den 2. Göttfried Inklusions-Ski-Cup absolvieren können. kobinet-Redakteur sprach mit ihm über seinen kürzlichen Sturz, aber vor allem auch über das Thema Barrierefreiheit im Internet und bei Facebook-Nachrichten. 

kobinet-nachrichten: Sie hatten dieses Jahr richtig viel Zeit, um die Paralympics zu verfolgen. Wie kam das und warum war es dann für Sie doch nicht ganz so gut?

Markus Ertl: Anfang März hatte ich einen folgenschweren Sturz und kuriere gerade meine Knieverletzungen aus. Ist einfach dumm gelaufen, aber wird schon wieder. Und dann lieg ich da auf unserem Sofa und habe ganz viel Zeit mit den deutschen Paraolympioniken in Pyeongchang mit zu fiebern. Das sind schon alles Verrückte, diese SportlerInnen, tolle Leistungen und meinen allergrößten Respekt. Und verrückt meine ich hier nur positiv.

ARD und ZDF übertrugen die großen Sportereignisse auch mit einem extra Kommentar für Blinde und Sehbehinderte auf der zweiten Tonspur. Diese Live-Deskription hat mir ermöglicht, die Wettkämpfe zusammen mit meiner Familie zu schauen. Da ich dann auch mehr über die SportlerInnen, deren Verbände und die gesamte deutsche paralympische Mannschaft wissen wollte, bin ich natürlich auch auf deren www.Seite und auch auf deren Fan-Page auf Facebook vorbeigesurft.

kobinet-nachrichten: Und?

Markus Ertl: Und da bin ich vom Glauben abgefallen. NICHTS barrierefrei. Das sind doch alle SportlerInnen mit Behinderungen und zum Teil auch Seheingeschränkte, die selbst auf die maximale Zugänglichkeit, ohne Barrieren, angewiesen sind. Deshalb bin ich entsetzt gewesen, so etwas sehen zu müssen. Ich hatte noch vor dem Eröffnungstag auch gleich noch in einem Gastbeitrag auf deren Facebook-Seite gebeten, dass sie doch auch Alle fair an deren Informationen teilhaben lassen sollten. Aber das war zu spät und so habe ich von den Informationen der deutschen paralympischen Mannschaft nur die Hälfte mitbekommen. Obwohl mir das die Freude an den tollen sportlichen Leistungen nicht mindern konnte, ist es dennoch immer wieder ein unbeschreiblich schlechtes Gefühl durch unnötige Barrieren von Informationen ausgegrenzt zu sein, besonders auf Seiten, die von Menschen mit Behinderungen handeln.

Auf der Fan-Page des Senders Phoenix gab es zu dem Thema einen treffenden Beitrag mit der Aussage: "Heute starten die paralympischen Winterspiele in Pyeongchang. Abseits des Sports bremst der Alltag von Menschen mit Behinderung selbst Paralympics-Sieger aus. Die deutsche Mono-Skifahrerin Anna Schaffelhuber, fünffache Goldmedaillengewinnerin der Paralympics in Sotschi 2014, fordert mehr Barrierefreiheit." Das Bild müssen Sie bitte selbst lesen, denn hier wurde bereits wieder der Alternativtext vergessen, welcher uns Blinden das Bild in Worten beschreiben sollte.

Anna Schaffelhuber kritisiert zu Recht ihre eigene Ausgrenzung von alltäglichen und doch so selbstverständlichen Dingen, die jeder andere als gegeben annimmt. Was für die Sportlerin Rampen und Aufzug, ebenerdige Zugänge und niedrig angebrachte Selbstbedienungsautomaten sind, ist für uns Sinneseingeschränkte jedoch die Zugänglichkeit zu Apps, Web-Seiten und auch auf die Bilder auf Facebook. Man spricht hier von der User-Accessibility (UA)

kobinet-nachrichten: Als Inklusionsbotschafter setzen Sie sich schon seit längerem dafür ein, dass Web- und Facebookangebote barrierefrei sind. Was haben Sie da schon so alles unternommen?

Markus Ertl: Puuuh, fragen Sie lieber, was habe ich noch nicht unternommen!

Mein erstes Werben für mehr Zugänglichkeit zu Informationen war in der Signatur meiner E-Mails. Dann habe ich begonnen, viele Unternehmen, wie E.ON, Deutsche Telekom und viele mehr per E-Mail oder Brief anzuschreiben und habe immer die digitale Barrierefreiheit als Chance verkauft. Mein Wunsch war auch hier, meine eigene Korrespondenz mit denen auf digitalem Wege machen zu können. "Gute Kundenkommunikation" und "Postfach" waren hier die Schlagwörter. Unzählige App-Entwickler habe ich über die Vorteile von barrierefreien Apps informiert, auch im App-Store immer wieder mit einem Focus "Zugänglichkeit mit Screenreader" bewertet.

kobinet-nachrichten: Und, wie ging's weiter?

Markus Ertl: Mit der Einführung des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGG) hatte ich dann begonnen, die im Gesetz versprochenen Standards auf Bundesebene einzufordern. So war ich bereits vor dem Start der Schlichtungsstelle gemäß § 16 BGG zum 01.01.2017 mit den verschiedenen Bundesministerien und dem Deutschen Bundestag, Kanzler- und Bundespräsidialamt mit dem Thema in Kontakt. Die Schlichtungsstelle hatte ich dann in einer Vielzahl von formellen Anträgen in meine Begehren mit eingebunden. Dabei habe ich auch den langen Weg von Lenggries nach Berlin nicht gescheut, um von Mensch zu Mensch für die Notwendigkeit von fairer Teilhabe und einem selbstbestimmten Leben in den Ministerien zu werben.

Seit nun fast 1 ½ Jahren bin ich auch als Inklusionsbotschafter mit meinem Facebook-Projekt lasst mich auch dabei sein – FB barrierefrei im selbigen unterwegs, werbe für mehr Teilhabe von Sinneseingeschränkten, fordere auch massiv bei verpflichteten Seiten. Auch habe ich mit so ziemlich allen Parteien vor der Bundestagswahl 2017 Kontakt wegen diesem Thema aufgenommen, forderte die politische Teilhabe-Möglichkeit für alle noch Ausgegrenzten. Mit E-Mail, Postkarten-Aktionen, unzähligen Kontakten in sozialen Netzwerken. In vielen und langen Telefonaten habe ich die Ausgrenzung durch die Parteien aufgezeigt und Unterstützung angeboten.

Und jetzt habe ich gegen einen Sportverband für SportlerInnen mit Behinderung die Möglichkeit eines Schlichtungsantrags genutzt. Mir geht es hier um die bereits beschriebene Ausgrenzung von Informationen. Vielmehr geht es mir aber dabei um die Auslegung des Bundesgleichstellungsgesetzes. Der § 1 Abs. 3 BGG besagt, dass der Bund bei institutionellen Zuwendungen auch die Begünstigten zur Einhaltung des BGG verpflichten soll, was schlichtweg seit 01.07.2016 weitgehend vergessen wurde. Und dies nicht nur bei der genannten Nationalen Sportvereinigung. Mir ist bewusst, dass hier dem Verband nichts passieren kann, dennoch müssen alle geldgebenden Ministerien ihre Zuwendungsbescheide anpassen, um künftig und bei allen institutionell Geförderten, Barrierefreiheit erlebbar zu machen.

kobinet-nachrichten: Derzeit wird ja ein Gesetzentwurf diskutiert, durch den eine EU-Richtlinie umgesetzt werden muss, der Barrierefreiheit für die Webseiten und Anwendungen vorschreibt. Was wäre dabei für Sie besonders wichtig?

Markus Ertl: Wichtig wäre erst einmal genau hinzuschauen, warum es die EU-Richtlinie 2016/2102 überhaupt gibt. Auch die EU ist in 2008 der UN-Behindertenrechtskonvention beigetreten. Dabei hat sich diese auch den Rechten für Menschen mit Behinderung verpflichtet. In Artikel 9 – Barrierefreiheit – findet man die Forderung. Dies soll den Menschen mit Behinderungen vieles ermöglichen, was bisher durch die Barrieren schlicht nicht möglich war. Beispielsweise die uneingeschränkte Teilhabe in allen Lebensbereichen, Schule, Arbeit, Kultur, Kommunikation, usw.

Jetzt wird bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie durch den vorliegenden Gesetzentwurf eines neuen BGG bereits wieder diskutiert, was nicht im Gesetz stehen soll, viele, viele Ausnahmen, die bereits an sich bereits die EU-Richtlinie und noch mehr die Absicht der UN-Behindertenrechtskonvention völlig verfehlt. Steht in Artikel 9 die Verpflichtung der Privatwirtschaft, so grenzt der Entwurf der nationalen Umsetzung der Richtlinie die öffentlichen Stellen auf ein Minimum ein, so dass gerade nur noch die Vorgabe der EU erfüllt zu sein scheint. Daraus ergibt sich im 10. Jahr nach dem deutschen Beitritt zu einer UN-Behindertenrechtskonvention nur noch eine Schmal-Spur-Teilhabe.

kobinet-nachrichten: Wie nehmen Sie die digitalen Barrieren im Bereich der privaten Anbieter von Dienstleistungen und Produkten wahr? Bietet der derzeitige Gesetzentwurf hier einen Ansatz bzw. was würden Sie sich wünschen?

Markus Ertl: Der Entwurf für ein neues Gesetz sieht eben nichts vor. In der EU-Richtlinie wird aber klar die Empfehlung dazu gegeben, nach oben offen. Die UN-Behindertenrechtskonvention als Maßstab sieht die Verpflichtung vor. Man kann natürlich noch die schrittweise Einführung anführen. Nach 10 Jahren und bei einer Daseins-Vorsorge sollte der Gesetzgeber aber mindestens konkret werden. Das hieße, dass die Gesundheitsvorsorge, Krankenkassen, Banken usw. unbedingt ihre Leistungen barrierefrei erbringen müssten, und nicht nur die Behörden in Deutschland. Auch wäre es wichtig, dass Unternehmen, die überwiegend ihre Umsätze über einen digitalen Verkaufskanal generieren, hier verpflichtet würden.

Alle sprechen immer von der großen Chance einer Digitalisierung, dann aber bitte auch für ALLE! Aber wer die Blockadehaltung Deutschlands zu einer weiteren EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen kennt, wundert sich nicht, dass die Unternehmen auf keinen Fall belastet werden sollen, aber Menschen mit Behinderungen können gerne weiterhin ausgegrenzt werden.

Auch der Koalitions-Vertrag sieht hier nur weiche Werbungen für mehr Teilhabe, auch in der Privatwirtschaft vor. Die Erfahrung zeigt aber leider, dass dies auch seit 2002 (erstes BGG) kaum etwas gebracht hat. Deshalb wünsche ich mir hier ein deutliches Signal, wenn auch nicht von Berlin ausgehend, dann zumindest aus Brüssel.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Markus Ertl: Gerne, ich hatte ja jetzt viel Zeit, die Paralympics sind ja jetzt vorbei;-)