Blind Rocks - Eine blinde Aktivistin aus Nepal berichtete

Jennifer Sonntag
Jennifer Sonntag

Halle (kobinet) "Es ist nicht leicht, in Nepal eine Frau zu sein, aber schwerer ist es, in Nepal eine blinde Frau zu sein“. Mit einem dieser einprägsamen Sätze eröffnete die taffe Aktivistin Sristi KC am 11. Februar in der Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen in Halle ihren tief bewegenden Vortrag. Die heute 26-jährige wurde in Kathmandu geboren, erkrankte am grünen Star  und verlor mit 16 Jahren aufgrund eines Behandlungsfehlers ihr Augenlicht. Die Inklusionsbotschafterin Jennifer Sonntag berichtet für die kobinet-nachrichten über die Veranstaltung und ihre Eindrücke.

Bericht von Jennifer Sonntag

Sristi sah genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Auch ich bin blind und sie beschrieb sich auf mein Bitten. Meine Ohren waren sofort in ihrer Welt gefangen, beeindruckt von ihrem Charisma und ihrer dynamischen Stimme. Eine smarte Frau mit kraftvoller Attitüde, schwarzbraunen Haaren, einem frechen Pearcing, einer modischen Sonnenbrille, die ihre empfindlichen Augen vor Wind und Staub schützt, wie sie sagt.      

Sristi schilderte uns in oft philosophisch anmutenden Worten, wie ihr Sehen nach der Erblindung ein anderes wurde. Heute weiß sie darum, dass blinde Menschen weltweit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, da Vorurteile, Berührungsängste und Diskriminierung blinden Menschen gegenüber überall aufgeweicht werden müssen. Dass dies in Nepal um vieles schwerer sein muss als in Deutschland, ist nicht nur wegen eines veralteten Bildes vom blinden Menschen sondern auch wegen der deutlich schlechteren Versorgungssysteme zwangsläufig. Es ist nicht vorgesehen, Hilfsmittel über einen Kostenträger beantragen zu können, Sristi verteilt über ihre Organisation Spenden an Betroffene in den Dörfern, für die Brillen, Lupen oder Blindenstöcke reine Luxusgüter sind. Wer lernen oder gar studieren darf, ist oft noch reine Glückssache. Sristi KC, 23 Jahre alt, wurde in Kathmandu als jüngste Schwester von zwei Brüdern geboren.

Sristi selbst hatte zunächst gedacht, ihr Traum sei verloren. Die einzige Lösung und Hoffnung war, das Sehen würde zurückkehren. Sie hatte viele Ärzte und Krankenhäuser besucht. Das Sehen stellte sich jedoch nicht wieder ein. Dabei wünschte sie sich so sehr, auch eine Schuluniform tragen und studieren zu können. Sie fasste Mut und stellte fest, dass sie gesunde Beine, Hände und einen Verstand hatte. Durch die Unterstützung eines Ministers bekam sie die Chance, tatsächlich zu studieren, wenn es auch nicht ihr Wunschfach sein konnte. Sie nahm ihre Soziologie-Vorlesungen mit einem Rekorder auf und schuf sich selbst Tastmaterial zum Lesen und Schreiben aus Holz. Sristi bestand ihre Prüfungen und entwickelte eine große Leidenschaft: das Tanzen! Wie schon beim Studieren, hatte man auch hier nicht geglaubt, dass eine blinde Frau so etwas überhaupt könne. Tanztrainer lehnten sie ab. Sie beschloss, es selbst zu erlernen und es anderen blinden Menschen in einem Workshop beizubringen. Sristi qualifizierte sich nach mehreren Projekten an der Hochschule auch unternehmerisch weiter und gründete ihre eigene Organisation mit dem kraftvollen Namen „Blind Rocks“. Sogar ein Film über sie wurde inzwischen unter diesem Titel veröffentlicht.

Auch wenn es uns trotz üblicher Kämpfe mit Kostenträgern, Ablehnungen und Wiedersprüchen wirtschaftlich deutlich besser geht, als unseren Mitbetroffenen in Nepal, emotional sind wir doch sehr nah beieinander. Deshalb gaben Sristis mutmachende Leitsätze uns spätbetroffenen blinden und sehbehinderten Zuhörern sehr viel positive Energie. Die blinde junge Frau hatte ihr Trauma überwunden und gelernt, neue Fenster hin zu neuen Möglichkeiten zu öffnen. Sie beschrieb, dass sie sich nach ihrer Erblindung nun deutlich besser auf Wesentliches fixieren kann und sich weniger ablenken lässt. Sie weiß, um einander zu verstehen, müssen wir hinhören, uns einfühlen, sprechen um uns zu begegnen, Wege der Kommunikation finden. Auch sieht sie in der Blindheit eine besondere Qualität des flexiblen Problemlösens. Wir müssen kreative Ideen haben, um zum Ziel zu gelangen. Das macht uns als Blinde zu weitblickenden Menschen. Außerdem können wir andere inspirieren umzudenken, wenn wir es gegenseitig zulassen. Sristi kennt es, von den Leuten diskriminiert zu werden. Sie stellten ihr verletzende Fragen, wunderten sich wie sie denn als Blinde richtig essen und sich waschen könne, so las ich in einer Biographie. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie in ihrer spritzigen Art dann zurückfragte: „Wieso, hast du etwa beim Essen oder Baden einen Spiegel dabei?“ Sristi macht uns klar, dass wir blinden Menschen uns an positiven Mitmenschen orientieren müssen und die negativen wegfiltern sollten. Wir selbst müssen uns aber auch immer wieder bewusst einbringen. Aus Sicht der jungen Aktivistin ist es unsere Entscheidung, ob wir etwas tun können oder nicht, für uns und die Gesellschaft. Auch die wertvolle Aufbauarbeit von Sabriye Tenberken fand Erwähnung im Vortrag.

Ich fühle mich Sristi sehr nahe, da ich viele ihrer Themen teile, wenn auch hier in Deutschland. Über Ihre Organisation bietet sie Workshops für blinde Frauen an, da sie der Meinung ist, auch wir haben das Recht, uns innerlich und äußerlich anzunehmen. Dürfen wir nicht auch nett aussehen, Körpersprache verstehen, an Mode und Make-up interessiert sein und eine gute Frisur tragen? Auch Modenschauen wurden durchgeführt und eine blinde Schönheitskönigin gekürt. Die gesamte Persönlichkeitsentwicklung blinder Menschen ist ihr ein großes Anliegen. Doch auch herausfordernde sportliche Angebote wie Rafting, Wandern und Paragliding organisiert sie für blinde Menschen mit, da die Landschaft die Möglichkeit dafür bietet. Sristi schildert in ihrer Biografie, dass blinde Menschen in Filmen und den Medien oft negativ dargestellt werden. Um an einer gesunden Bewusstseinsbildung zu arbeiten, bietet sie mit ihrer Organisation deshalb auch Theaterprojekte an. Die engagierte Botschafterin beschränkt sich in ihrer Intension nicht nur auf ihre Region, sie sieht, dass die Herzen blinder Menschen weltweit ähnlich schlagen und setzt auch internationale Projekte um. Es gibt kaum deutsche Literatur über diese großartige Botschafterin für weltweite Inklusion. Ich profitiere in diesem Beitrag von meinen Erinnerungen aus dem lebendigen Vortrag und einer mäßigen schriftlichen Onlineübersetzung. Darin richtet Sristi die sinngemäße Nachricht an uns, dass nur wir der Maßstab für unser Leben sein können. Wir allein sollten die für uns stimmigen Grenzen festlegen. Wir müssen uns lieben und respektieren lernen, nur dann können wir anderen Liebe und Respekt entgegenbringen.  

An dieser Stelle möchte ich im Namen der gesamten SHG Sristi großen Respekt entgegenbringen und danke sagen für diese internationale Begegnung voller farbenfroher Impulse. Ebenfalls danken möchte ich Dr. Joshi, Wissenschaftler an der Universitätsklinik Halle, der für uns aus dem Englischen übersetzte. Auf der Suche nach einem Dolmetscher hatten wir in einem Nachbarschaftshilfe-Portal inseriert (Marianne Rehbein, Danke für die tolle Idee) und er, selbst aus Nepal stammend, hatte verstanden, eine Reisegruppe aus seiner Heimat sei in Deutschland. Sristi stellte sich dann als eine blinde junge Frau heraus, die aber so viel Power und Engagement mitbrachte, wie eine ganze Reisegruppe. So kam es zu einer wunderbar beflügelnden Zusammenführung zweier Landsleute. Ein besonders herzlicher Dank geht an Dolores Rehbein, Leiterin der Gruppe SeH-Blick, ohne deren Engagement und Kooperation mit Anja Pfaffenzeller, diese Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Dolores gab Sristi noch viele Impressionen aus der deutschen Selbsthilfearbeit mit und unsere Austausch- und Fragerunde wurde rege genutzt. Langweilig wurde bei so viel Input höchstens den drei anwesenden Blindenführhunden, die sich in Nepal übrigens wegen des schlechten Rufes der Straßenhunde nicht etablieren können.