Zu Besuch bei Tina Jahns und ihren Tieren
Linden (kobinet) Die Inklusionsbotschafterin Tina Jahns hat in vielerlei Hinsicht einen anderen Blick auf die Dinge, das Leben sowie auf die Menschen und Tiere, die um sie herum sind. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul besuchte sie zusammen mit der Koordinatorin des Inklusionsbotschafter*innen-Projektes der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), Susanne Göbel, im ländlichen Frankenland in Linden, das zu Neustadt an der Aisch gehört und in der Nähe von Erlangen und Nürnberg liegt. Dort erfuhren sie u.a. dass die angeborene Muskelschwäche für Tina Jahns kein unüberwindbares Hindernis darstellt. Vielmehr hat sie früh gelernt, den einzigartigen Gewinn einer solchen besonderen Lebenssituation zu leben. Mit zwei Hunden, zwei Katzen und drei Pferden samt Mitbewohner und Assistenz lebt die Sozialpädagogin und Peer Counselorin ein buntes Leben auf einem ehemaligen Bauernhof.
Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Wenn man bei Tina Jahns bei gutem Wetter zum Kaffeetrinken ankommt, merkt man sofort, dass hier einiges anders als sonst ist. Auf dem Gelände, auf dem sie wohnt, sind beispielsweise nicht die Pferde eingesperrt. Der Freisitz, auf dem wir zusammensaßen, ist vielmehr von einem Zaun mit Seilen umrandet, so dass die Pferde frei um uns herum laufen können und wir sozusagen in der Zooperspektive eingezäunt sind. Die beiden Hunde springen fröhlich um Tina Jahns und uns herum, während die Katzen, die im Haus schlafen, von all dem ganz und gar nichts wissen wollen. Dafür interessieren sich zwei von den drei Pferden von Tina Jahns sofort für uns und so kommen wir auch ganz schnell auf diese beeindruckenden Kaltblüter zu sprechen, die über die Umzäunung hinweg auf uns herabschauen. Und da kommt auch schon ein weiterer Denkanstoß im Umgang zwischen Mensch und Tier. Tina Jahns hält nämlich entgegen so vieler anderer Pferdenarren nichts davon, auf Pferden zu reiten. Pferde hätten in der Vergangenheit zwar immer wieder als Nutz- und Reittiere wichtige Funktionen für die Menschheit übernommen, aber heute müssten schwere Menschen nicht mehr auf Pferderücken steigen und ihnen durch so manche Dressurakte ihren Willen aufdrücken. Denn Pferde sind stolze Tiere und sollen es nach Ansicht von Tina Jahns auch bleiben dürfen.
Nach ihrer Tätigkeit als Peer Counselorin beim Erlanger Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen und einem massiven Einschnitt in ihrem Leben, als sie mehrere Tage im Koma lag, hat Tina Jahns ihre Zelte in Erlangen abgebrochen und ist aufs Land gezogen. Dort hat sie sich ihren Traum verwirklicht und bringt nun u.a. ihre Erfahrungen mit Menschen und Tieren beim Live-Coaching mit Pferden ein und macht entsprechende Angebote. Und auch hier kommt wieder ein Aha-Erlebnis bei diesem spannenden Besuch. Tina Jahns schafft es in der Regel, dass ein Termin vor Ort mit ihr und ihren Pferden ausreicht, um Menschen die Möglichkeit zu geben, für sich mehr Klarheit über das zu bekommen, was sie wollen und brauchen. Während bei so manchen anderen Therapeut*innen zuweilen der Eindruck entsteht, dass die Kund*innen länger gehalten werden als unbedingt nötig, pflegt Tina Jahns anschließend hauptsächlich den Kontakt via WhatsApp oder per E-Mail.
Und so wird es dann bei diesem Besuch auch sehr schnell praktisch, als ich mich intensiver für die Pferde interessiere. Die vermeintlich "kleine Frau“, die mit ihrem Rollstuhl am Kaffeetisch sitzt, schafft es doch tatsächlich, dass ich als jemand, der Pferden am liebsten nur mit einem Zaun dazwischen begegnet, den geschützten Bereich verlasse und in den Bereich der Pferde trete. Und da lasse ich doch tatsächlich meine Hand beschnuppern, tätschele das große, stolze Tier verhalten am Hals und soll dann noch das Herz finden. Das Pferd hat meinen Respekt vor ihm wohl schon von Anfang an gespürt und mich weitgehend gewähren lassen. Was bei mir bleibt, ist eine Erfahrung, die ich sonst im Alltag nicht so mache. Während ich sonst vor den sogenannten großen Tieren nicht so schnell vor Respekt einknicke, hatte ich vor diesem stolzen Tier doch gehörigen Respekt – und das ist wohl auch gut so.
Und da sind dann noch die Hunde, die wie ein Hüpfball mal schnell auf den Schoß springen und sich freuen, wenn sich etwas um sie herum tut. Für Tina Jahns ist dies Alltag und vor allem ein Alltag, den sie sich trotz aller behinderungsbedingter und sonstiger Herausforderungen bewusst geschaffen hat. Und so ist sie auch davon überzeugt, dass viele andere Menschen, ob behindert oder nicht, ebenfalls viel für sich verändern können, wenn sie dies wollen und für sich erkennen, was wichtig ist. Deshalb pflegt Tina Jahns auch mit vielen dieser Menschen Kontakt und führt mit einigen von ihnen Treffen mit ihren Pferden durch.
Darüber hinaus hat die Inklusionsbotschafterin an der Gründung eines Vereins mitgewirkt, durch den die künstlerische Kreativität gefördert werden soll. Der Name ist auch hier Programm: "Aussergewöhnlich“ heißt der Verein, der vor kurzem erst eine Ausstellung in Erlangen eröffnet hat. Anfang 2011 gründete sie gemeinsam mit tollen Menschen dieses kleine Herzensprojekt. Ihre Idee war und ist mit diesem sozialen Kunst- und Kulturverein der Gesellschaft zu zeigen, dass "anders sein" ganz normal ist und zum Leben gehört. Mittels kreativer Projekte und Aktionen setzt sie erfrischende Impulse, die zum Nachdenken und Mitmachen einladen. Glaubenssätze dürfen dabei in Frage gestellt werden, altbewährte Grenzen können verwischen und Neues möchte voll Neugier entdeckt werden, heißt es dazu auf ihrer Homepage.
Beim Besuch von Tina Jahns wurden zumindest bei mir bereits eine Reihe von Glaubenssätzen in Frage gestellt und mein Denken über Mensch und Tier erheblich bereichert. Als gewichtiger Schreiber der kobinet-nachrichten werde ich deshalb bestimmt nicht einmal mehr darüber nachdenken, auf den Rücken eines Pferdes aufsteigen zu wollen, geschweige denn, deren Wege und Verhalten unnötigerweise bestimmen zu wollen. Von Tina Jahns durfte ich in der kurzen Zeit unseres Besuches fernab jeglicher Hektik und unnötigem gesellschaftlichem Getue einiges lernen, das mich enorm bereichert hat.