Jennifer Sonntag zum Geschmack von Lippenrot
Leipzig (kobinet) Zur Leipziger Buchmesse vom 21. bis 24. März erscheint das neue Buch der Inklusionsbotschafterin Jennifer Sonntag mit dem Titel "Der Geschmack von Lippenrot" zunächst im Schwarzdruck, demnächst auch im DAISY-Format. Ihr Ratgeber möchte blinde und sehbehinderte Frauen dazu anregen, ihre eigene Weiblichkeit und Sinnlichkeit wahrzunehmen und sich mit ihrem äußeren und inneren Spiegelbild auseinanderzusetzen, heißt es in einem Beitrag der Deutschen Zentralbibliothek für Blinde (DZB) in Leipzig. Die kobinet-nachrichten bedanken sich bei der DZB für die Möglichkeit des Abdrucks des Interviews mit Jennifer Sonntag über ihr neues Buch.
Jennifer Sonntag über ihr Buch "Der Geschmack von Lippenrot" aus in puncto DZB
Wichtig ist der Autorin, Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung ihrer Leserinnen zu stärken. Das Buch beinhaltet neben einer Kosmetikkunde auch eine Schminkschule und eine Anleitung in Sachen Stil und Outfit. Dazu hat Jennifer Sonntag umfangreiches Material aus ihren Vorträgen, Seminaren und Workshops gesammelt, das von Interviews dreier Expertinnen ergänzt wird. Im Folgenden erzählt die Autorin und Moderatorin von „SonntagsFragen“, einer Sendung des MDR Fernsehens, warum sie sich so gern schminkt und wie für sie Lippenrot schmecken soll.
Schminken ist ein Ausdruck der Sinnlichkeit
Warum haben Sie aus dem Material Ihrer Vorträge und Workshops ein Buch gemacht?
Ich habe gemerkt, dass wir Menschen, egal ob sehend oder nicht, ob Mann oder Frau, im Grunde erst einmal in unseren inneren Spiegel blicken müssen, um uns selbst und unsere Mitmenschen zu verstehen. Innerhalb meiner sozialpädagogischen Tätigkeit habe ich Materialien für blinde Menschen entwickelt und an verschiedenen Kursen gearbeitet. Das war schon immer ein wichtiges Thema für mich und mir war klar, dass das optische Spiegelbild nicht die einzige Wahrheit ist. Nur wer auch in seinen inneren Spiegel schaut, kann glücklich werden.
Aber die Themen ihres Ratgebers befassen sich doch vor allem mit der äußeren Erscheinung: Schminken, Outfit und Stil …
Schminken steht deshalb im Vordergrund, weil ich festgestellt habe, dass es in der sehenden Welt ganz viele Ratgeber gibt. Nahezu täglich entstehen neue Beiträge in den verschiedensten Medien. Doch das letzte Buch „Die Kunst des Schminkens“, eigentlich auch das einzige für blinde Frauen, ist vor 50 Jahren von einem erblindeten Model geschrieben und veröffentlicht worden. Übrigens gibt es das Buch in Punktschrift in der DZB. Seitdem ist da nie wieder ein Buch erschienen. Das ist schade, denn die Beauty-Welt dreht sich weiter und für uns blinde Frauen gibt es ganz wenig Ratgeber-Literatur dazu. Und diese wollte ich einfach ein bisschen überarbeiten – auch aus meiner Sicht als Sozialpädagogin. Im LPF-Training gibt es ja verschiedene Techniken, die vermittelt werden können. Wenn blinde Frauen das Bedürfnis haben sich zu schminken, gibt es spezielle Kurse, die sie besuchen können. Meistens werden diese aber nicht so häufig angeboten und finden nicht in der Stadt statt, in der man lebt. Es gibt jetzt auch eine tolle blinde Youtuberin, die kleine Schmink-Videos ins Netz stellt. Ich bin froh, dass sich da etwas entwickelt. Aber es ist bei Weitem nicht so viel wie in der sehenden Welt. Blinde Frauen sind ja auch Frauen. Sie schnuppern gern an Parfümflakons, gehen mit Lippenstift und Puderdose um. Sicherlich nicht alle, aber einige. Und für diese Frauen sollte es einfach mehr Ratgeber-Angebote geben. Das war mein Wunsch mit diesem Buch.
Sie machen in ihrem Buch Schönheit, Sinnlichkeit und Weiblichkeit zu ihrem Thema. Welche Rolle spielen diese Dinge für Sie?
Schönheit und Sinnlichkeit geben mir ganz viel Kraft. Also wenn ich zum Beispiel krank bin, dann tut es mir gut, wenn mich schöne Dinge umgeben. Ich werde schneller gesund, wenn ich einen schönen Duft um mich habe, ein schönes Schmuckstück, einen roten Lippenstift. Zur Sinnlichkeit und Schönheit gehört für mich aber auch eine gewählte Sprache, also, wie rede ich mit dem anderen, wie begegne ich dem anderen auch akustisch, welche Worte benutze ich. Jeder kann sich ganz bewusst schöne Momente im Alltag schaffen. Das Leben ist manchmal anstrengend genug. Ich habe festgestellt, dass ich die Unannehmlichkeiten des Alltags besser am Kragen packen kann, wenn ich mich mit etwas Schönem befasse.
Warum sollten blinde Menschen sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild auseinandersetzen?
Das Buch ist eigentlich für die Menschen, die ihre innere Schönheit schon gefunden haben, die Freude an Mode, Stil, an ihrer optischen Wirkung haben. Ich persönlich habe die Freude daran nie verloren, weil mir das Spaß macht, mich mit Formen, mit Farben, Ästhetik zu befassen. Ich möchte mich nicht für Sehende schön machen. Es geht mir vor allem um die Wertschätzung sich selbst gegenüber, sich zu pflegen, schön zu duften, eine schöne Haut und gepflegte Haare zu haben. Für mich ist diese Selbstwertschätzung, diese Selbstliebe immer oberstes Gebot, erst danach mache ich mich auch für andere Leute schön. Das beides spielt natürlich zusammen. Aber viele Image-Ratgeber für Sehende gehen nur von diesem oberflächlichen Aspekt aus. Auch wenn ich in meinem Buch sehr viel über die äußere Erscheinung und die Beauty-Welt schreibe, möchte ich betonen, dass Lippenstift und Wimpernspirale nur dann wahrhaftig wirken, wenn wir uns auch mit unserem inneren Spiegelbild befassen.
Nun könnte es ja sowohl sehende wie auch blinde Frauen geben, die Schminktöpfchen und Lippenstift mit einer negativen Note belegen, wegen des typisch weiblichen Rollenklischees. Was können Sie dieser Sichtweise entgegensetzen?
Ich möchte denen gar nichts entgegensetzen. Für mich ist ganz wichtig, dass sich jeder stimmig fühlt, in seinem Körper und in seiner Haut. Wenn blinde Frauen sich nicht schminken möchten, dann ist das auch völlig in Ordnung. Ich finde nur, blinde Frauen sollen die Möglichkeit bekommen, Einblick in die Kosmetik- und Beauty-Welt zu erhalten. Sie können sich ja nicht so wie sehende Frauen, überall umschauen, beispielsweise im Fernsehen Prominente in neuen Kleidern bewundern, in Schaufenstern tolle Kleidung sehen oder auch Make-up-Tipps in Zeitschriften und Büchern lesen. Da gibt es ein gewisses Defizit. Und manchmal kommt dann die Aussage: „Na, wenn ich es nicht sehe, dann mache ich es eben nicht.“ So wie der Fuchs, der nicht an die Trauben kommt. Und das finde ich schade für diejenigen, die gar nicht die Wahl hatten zu sagen: Nein, ich schminke mich nicht. Deshalb habe ich in meinem Buch auch Vieles konkret beschrieben, so dass es sich blinde Frauen gut vorstellen können. Sehende Make-up-Artisten und Stilberater denken oft in der Welt der Sehenden und beschreiben deshalb ganz anders oder gar nicht.
Frau Sonntag, am Schluss noch eine Frage, die sich an eine Ihrer Sonntagsfragen anlehnt: Wie schmeckt für sie Lippenrot, das sie mögen?
Ein Lippenrot, das ich mag, riecht ein bisschen nach Theaterkulisse. Ich mag Lippenstifte, die etwas Pudriges haben, die auch etwas nach Vergangenheit schmecken. So wie die Frauen, die sich früher zurechtgemacht haben. Damals hatte das Schminken ja etwas mehr Charisma. Lippenstift muss für mich schon einen gewissen Zauber haben, so ganz geruch- oder geschmacklos darf er nicht sein.
Vielen Dank, Frau Sonntag!
Jennifer Sonntag: Der Geschmack von Lippenrot, Preis 19,95 Euro (Schwarzdruck oder DAISY-Hörbuch), Vorbestellungen für das demnächst erscheinende Hörbuch nehmen wir gern entgegen. Telefon: 0341 7113119, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Steckbrief
Jennifer Sonntag, Jahrgang 1979, studierte Sozialpädagogik in Merseburg. Mit etwa 18 Jahren erfuhr sie, dass sie aufgrund einer Erbkrankheit ihr Augenlicht verlieren würde. Ihr Ziel, als Streetworkerin in der Drogenhilfe zu arbeiten, gab sie auf und orientierte sich auf Reha-Pädagogik um. 16 Jahre arbeitete sie im Berufsförderungswerk für sehbehinderte und blinde Menschen (BFW) in Halle. Heute setzt sie sich als Inklusionsbotschafterin der Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben“ in Deutschland e.V. für die Belange von sehbehinderten und blinden Menschen ein. Jennifer Sonntag arbeitet als Autorin, moderierte im MDR Fernsehen die „SonntagsFragen“ und interviewt jetzt in der MDR-Talksendung „Mit anderen Augen“ ihre Gäste.
Hinweis zur Buchmesse
Vom 21. bis zum 24. März findet die Leipziger Buchmesse 2019 statt. An diesen Tagen treffen sich in Leipzig große und kleine Verlage, renommierte Autoren, aber auch junge Talente und viele, viele Buchliebhaber. Die DZB ist wieder mit dabei und präsentiert ihr Verlagsprogramm in Messehalle 3 am Stand B 301. Sie erwartet aber nicht nur dort viele interessierte Besucher*innen. Sie lädt auch im Rahmen des Lesefestivals „Leipzig liest“ zur Buchlesung in ihr Haus (Deutsche Zentralbücherei für Blinde (DZB), Gustav-Adolf-Straße 7, 04105 Leipzig) ein. Im eigenen Domizil wird am 22. März, 18 Uhr der Autor Johannes Herwig aus seinem Jugendbuch „Bis die Sterne zittern“ lesen. In dem Buch geht es um die Leipziger Meuten, eine Jugendclique, die in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts gegen die Forderungen der Nationalsozialisten rebelliert. Fesselnd und emotional erzählt Johannes Herwig vom 16-jährigen Harro, der sich den Leipziger Meuten anschließt und in der Zeit der Willkürherrschaft der Nazis erwachsen wird. Das Buch wird in der DZB als Braille- und Hörbuch produziert. Besuchen Sie die DZB am Messestand und kommen Sie zur Lesung in die DZB! Wir freuen uns auf Sie: Halle 3 Stand B 301 – von 10 bis 18 Uhr